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Channel: Kommentare zu: Zum Wohnungsbau: klein, aber nicht fein
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Von: Gerlinde R.

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Die Gemeinsamkeit des Fettgewebes und eines Balkons: Eine Überlegung zu den „Puffer-Räumen“im Wohnungsbau (Loggien- und Terrassenflächen) in Zusammenhang mit der Idee des Wohnungsbau als Grundlage des gebauten Umfelds und des kulturellen Gelingens oder Scheiterns einer Bevölkerung:
Ein Empfindungsbericht. Ich komme aus einem 3000-Seelen Dorf. Ich habe noch nie in einer Stadtwohnung gelebt, noch nicht einmal in einem Wohnbau am Land. Es ist Neuland für mich. Ich weiß auch gar nicht, ob ich das für meine Begriffe als „leben“ oder „wohnen“ einordnen kann. Ich schau aus dem Fenster und ich sehe eine Mauer. Die Fassade der nächsten Wohnhäuser, ein Konglomerat aus dem mit der Zeit zusammengewürfelte und gewachsenen Elementen. Die Wichtigkeit des Grünen in der betonierten Umgebung. Ich schau aus dem Fenster und suche das Grüne. Mein Wohn-Schlafraum besitzt keinen regulären Tisch mit Stühlen, obwohl es Platz genug dafür gibt. Ich suche das Grüne. Sitze ich am Boden, sind aus dieser Position die Bäume des Kapuzinerberges noch sichtbar. Am Boden sitzen – wenigstens ein bisschen Erdung, wenn man schon im 3. Stock „leben“ muss. Ich sitze am Fenster und schau in den verbauten Innenhof. Ein Baum erfrischt in seinem Emporstreben einladend das Auge, auch der Efeu am alten Nachbardach lässt mich romantische Bilder in meinem Kopf malen und verwandelt die korrekte Architektur in was schmeichelnderes, lebendigeres – in eine lebendes Gesamtes. Auch in Nachbar gegenüber hat Pflanzen auf seinem Balkon. Aber so wenig Balkone gibt es hier. Wieso? Es ist so wichtig. Es ist Leben. Es ist ein Ortswechsel, und sei er auch noch so winzig. Ein Balkon muss da sein. Nur allein um einen Ortswechsel durchzuführen, einen Schritt in eine andere Welt machen zu können! Einen Puffer-Raum zu haben. Etwas zum Ankommen oder Entkommen. Eigentlich dürfte es keine Häuser bzw. Wohnblöcke ohne Balkone geben. Das ist lebensverneinende Architektur. Das ist mentale Begrenzung, Freiheitsberaubung im geplanten gezielten grausamen Schritten durchgezogen, die Degeneration und Verstümmelung der Freiheit im Kopf. Fensterbänke. Und wenn man schon keinen Balkon haben darf oder kann, so braucht man ganz tiefe Fensterbänke, auf denen man sitzen kann, in gleicher Höhe mit der Fensterrahmen-Unterseite. So kann man räumlich den Fensterrahmen nicht als Absperrung des Raumes empfinden, sitzt man auf gleicher höhe, und kann „hinaus-sitzen“.
Ich finde es so eigenartig, dass es ein nach innen geschlossener Aussenraum zu sein scheint, wie eine Membran der Organe im Inneren eines Körpers eigentlich. Die sind auch abgeschlossen und haben keine Balkone um sich zuzuwinken. Die müssen alle für sich in sich funktionieren, sonst funktionieren sie nicht. Aber diese einzelnen Organe die hier im Aussenraum zusammengewürfelt herumstehen, ergeben ja für sich kein einzelnes Organ, oder? Ihre Zellen kommunizieren ja nicht oder nur wenig miteinander. Jede Zelle hat seine Aufgabe, vorwiegend ausserhalb des Organes, aber wie weit sind sie eigentlich untereinander aktiv? Welche Gebäude sind es, die mich hier umgeben, und mich nicht begrüßen? Aber doch auch die Organe sind untereinander verbunden, aber womit? Muskeln verbinden Knochen. Sehnen verbinden Knochen. Aber die Weichteile? Fliegen liegen die einfach so herum? Ganz lose, im Fettgewebe gut verpackt, flexibel, verschiebbar, anpassungsfähig der Körperhülle untertan? Fettgewebe ist Puffer-Zone. Puffer-Zonen sind Balkone, Loggien, Veranden, Terrassen. Lebensnotwendig. Nimmt man einem Körper das Fettgewebe, nimmt man ihm die Puffer-Zonen. Alles prallt direkt aufeinander. Der Körper und seine Zellen ist nicht mehr lebensfähig. Dieses Gedankenbild ist für mich vergleichbar mit dem Freiflächenlosen Wohnbau. Nimmt man dem Wohnbau diese Puffer-Zonen, trainiert man eine Gesellschaft an rastlosen, unausgeglichenen, ständig aufeinanderprallenden, bald nicht mehr funktionstüchtigen Organen. Genau deswegen spielt es eine maßgebende Rolle, ob eben diese Puffer-Zonen im Wohnbau mit einbezogen werden oder nicht.


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